Beten lernen Rückblick War Binder

Beten – Aber wie?

„9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung,sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ (Matthäus 6, 9-13 nach LU2017)

Ich befinde mich auf einer Reise. Genau genommen auf der Reise in eine enge Beziehung mit meinem Schöpfer. Kann das überhaupt funktionieren? Jahrelang hatte ich das Gefühl, meine Gebete würden maximal die Decke in meinem Zimmer erreichen. Gottes Ohren schienen taub für mich zu sein und ich fühlte mich wie ein Eindringling in ein Gebiet, in das ich nicht hineingehörte. Erst Jahre später begann ich zu begreifen, dass Gott nicht nur meine Gebete möchte, sondern mein Herz, mich als ganze Person.

Schon seine Jünger fragten Jesus, wie man „richtig“ betet. Jesus antwortete ihnen, in dem er ihnen das „Vaterunser“ als Beispielgebet gab. Wir Christen von heute kennen dieses Gebet auswendig. Aber ist uns bewusst, was diese Worte wirklich bedeuten? Um was bitten wir Gott eigentlich, wenn wir dieses Gebet sprechen? Hat Jesus sich vielleicht etwas ganz Anderes dabei gedacht, als er uns dieses Gebet schenkte?

Ich bin davon überzeugt, dass Jesus uns durch das „Vaterunser“ kein Universalgebet vorstellen wollte. Jeden Satz, jedes Wort hat er bewusst ausgewählt, um uns dadurch zu lehren und zu befähigen, eigene Gebete zu formulieren. Wir finden im „Vaterunser“ verschiedene Themen, die jedes für sich gesehen wichtig für unsere Beziehung zu Gott sind: Anbetung/Lob, Bitte, Fürbitte, Proklamation/Dank. Was genau bedeuten die einzelnen Abschnitte des Gebets für unsere Gebete? Wie können wir ähnlich beten, wie Jesus es lehrte?

1. Anrede                                                                                                                                     

„Unser Vater im Himmel!“                                                                                                                

Bereits im ersten Satz des Gebets, fordert Jesus uns dazu auf, Gott persönlich anzusprechen, uns klar zu machen, mit wem wir kommunizieren. Dabei setzt er zwei Schwerpunkte: Er führt Gott sowohl als Vater als auch als Gott ein. Wir sind Menschen und stehen deshalb automatisch auf einer anderen Stufe als Gott. Für uns ist es wichtig, uns diesen Unterschied bewusst zu machen, damit wir Gott als Gott und nicht als Kumpel behandeln. Auf der anderen Seite ist Gott durch Jesus unser Vater geworden. Wir dürfen wie ein kleines Kind zu ihm kommen und uns ihm gegenüber frei und ungezwungen, ohne Angst nähern.

2. Anbetung                                                                                                                                  

„Dein Name werde geheiligt!“                                                                                                              

Das Wort „heiligen“ ist ein altes Wort, dessen Bedeutung uns nicht mehr geläufig ist. Es bedeutet so viel wie „für Gott ausgesondert sein“ oder „in Gottes Dienst stehen“. In der Bibel wird der Name mit der Person gleichgesetzt. Den Namen Gottes heiligen bedeutet demnach, Gott als Gott zu behandeln, ihm mit Ehrfurcht zu begegnen und seinen Namen bewusst zu benutzen. Als Kinder Gottes tragen wir Gottes Namen als Familiennamen. Wir sollen diesen Namen durch unseren Lebenswandel bestätigen und nicht in den Schmutz ziehen, indem wir tatsächlich im positiven Sinn „ausgesondert“ leben. Unser Leben soll wie ein Opfer sein, Gott anbeten.

3. Bitte                                                                                                                                                      

Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“                                    

Nachdem wir uns bewusst auf Gott und seine Heiligkeit ausgerichtet haben, bitten wir um das Kommen des Reiches Gottes. Aber was ist das eigentlich? Das Reich Gottes ist die Königsherrschaft Jesu, die Wiederherstellung der Welt wie Gott sie sich ursprünglich erdacht hatte. Wenn wir um dieses Reich beten, bitten wir gleichzeitig, dass durch unser Leben dieses Reich bereits heute beginnt. Wir laden Gott ein, in uns und durch uns zu wirken, sodass unser Leben wie das eines Botschafters in einem fremden Land, unsere Lebenswelt verändert. Für mich die schwierigste Bitte im Vaterunser ist die Bitte, dass Gottes Wille geschehen möge – im Himmel, auf der Erde und in meinem Leben. Seine Gedanken und Pläne sind so viel höher und tiefer als meine Wünsche und Träume und es bedeutet, dass ich Gott durch diese Bitte mein Vertrauen schenke, dass seine Wege besser sind als meine eigenen Wege – auch dann, wenn ich sie nicht verstehen kann. Tatsächlich bete ich oft, dass Gott mein Herz so verändern möge, dass es mit seinen Plänen übereinstimmt.

4. Fürbitte für das materielle Leben                                                                                           

 „Unser tägliches Brot gib uns heute.“                                                                                          

Erst  nachdem wir für die Ausbreitung von Gottes Reich gebetet haben und seinen Willen über unserem Leben anerkannt haben, sind wir frei, Gott unsere persönlichen (Für)bitten anzuvertrauen. Wir beten darum, dass Gott unsere täglichen Bedürfnisse erfüllt und befriedigt. Dabei geht es nicht darum, um Luxus zu beten, sondern tatsächlich um die grundlegenden Dinge, die wir zum Leben brauchen: Nahrung, Kleidung, Beziehungen, … Manchmal fällt es uns schwer, Gott zu danken für das, was er uns schenkt, weil unsere Ansprüche viel zu hoch sind. Wenn ich andere Menschen anschaue, bin ich oft beschämt, wofür sie dankbar sind: Für eine trockene Scheibe Brot oder eine Wohnung, die sie sich mit vielen anderen Familienmitgliedern teilen müssen. Wie dankbar wird man, wenn man tatsächlich für das dankt, was man hat, anstatt auf das zu schielen, was man gar nicht zum Leben braucht. Das Wort „unser“ im gesamten „Vaterunser“ zeigt uns die Wichtigkeit, für andere ebenso zu beten wie mit ihnen gemeinsam. Wir brauchen einander.

5. Buße 

„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“                            

Wir alle sind Sünder, das bedeutet dass wir alle Dinge getan haben, die uns von Gott und Menschen trennen. Es ist existenziell für unsere Beziehung zu Gott, dass wir über unsere Schuld nachdenken und Buße tun. Buße tun ist auch ein alter Begriff und bedeutet, dass ich meine Schuld sehe, sie ernsthaft bereue, um Vergebung bitte und den richtigen Weg einschlage. Damit Gott uns unsere Schuld vergeben kann, damit unsere Beziehung zu ihm wieder hergestellt werden kann, müssen wir unsere Beziehung zu anderen Menschen klären. Das ist oft der schwerste Schritt. Wie gerne halten wir an der Bitterkeit fest, weil uns eine gute Freundin übersehen hat? Wie oft denken wir, mit Recht wütend auf jemand anderen zu sein? Eigentlich halten wir uns selbst mit Bitterkeit, Hass und Unversöhnlichkeit gefangen. Wir vergiften unser eigenes Herz und werden zu unausstehlichen Menschen. Wenn wir stattdessen bewusst Vergebung aussprechen, werden wir frei. Vergebung bedeutet nicht, dass wir vergessen, was die andere Person uns angetan hat oder dass wir ihr Verhalten gut heißen. Im Gegenteil benennen wir die Schuld des anderen, stellen uns unserer Verletzung und entscheiden uns, dass diese Schuld uns nicht noch mehr zerstören darf, in dem wir sie festhalten.

6. Fürbitte für unser geistliches Leben                                                                                      

„Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“                                  

Unsere Bitten und Fürbitten beinhalten meist hauptsächlich unser materielles Leben, unsere Gesundheit und Sicherheit. Mindestens ebenso wichtig ist das Gebet für unsere geistliche Sicherheit und Gesundheit. Gott selber lässt es manchmal zu, dass wir getestet werden. Er möchte unseren Glauben und unser Vertrauen stärken. Die Bitte, nicht in Versuchung geführt zu werden, bedeutet nicht, dass Gott jede schwere Situation von uns fernhalten soll. Vielmehr bitten wir darum, dass er uns davor bewahrt, dass schwierige Situationen zu Versuchungen werden, denen wir nachgeben, weil sie zu stark für uns sind.

7. Lob/Proklamation und Abschluss         

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“                              

Abschließend erinnern wir uns daran, dass Gott dir Kontrolle über alles auf dieser Welt und in unserem Leben hat und sprechen diese Wahrheit aus. Wir loben ihn dadurch und proklamieren seine Größe und Herrlichkeit. Lob und Dank helfen unserem Herzen, unseren Blick von dem Kreisen um uns selbst wegzuwenden und auf die Realität Gottes zu richten. Alles andere wird in seinem Licht klein und unbedeutend und wir können unsere momentane Situation viel besser einordnen. Das Wort „Amen“ bekräftigt das Gesagte, setzt praktisch unsere Unterschrift darunter.

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